Kinder

Mama vs. Switch

Wir stehen unter Zugzwang. Die Nachbarskinder haben eine Nintendo Switch bekommen. Da kann das Museum der toten Tiere unserer Kinder irgendwie nicht mithalten. Jetzt haben sie erstmal keine Zeit mehr zum Versteckspielen.

„Du willst lieber mit einem Computer spielen als mit mir?“, fragt die Sechsjährige fassungslos. Ihr Freund nickt:
„Die Switch ist ja auch neu.“
„Verstehe ich trotzdem nicht.“
„Du bist ja nur neidisch, weil deine Mama dir sowas nicht erlaubt“, sagt er. Sie kaut unglücklich auf ihrer Unterlippe rum.
„Wir sind halt eine Naturfamilie“, sage ich beschwichtigend. Eigentlich finde ich es gut, wenn die Kinder so etwas unter sich klären. Aber unsere Tochter ist kurz vorm Weinen.
„Ist doch toll, dass ihr unterschiedlich seid. Da könnt ihr euch ergänzen. Bei dir könnt ihr mit der Switch spielen…“
„Nicht solange Corona ist.“
„Dafür kannst du mit uns zum See fahren und schwimmen, auch wenn wegen Corona noch alle Freibäder zu haben. So wird es nie langweilig, weil ihr beide was Tolles habt.“
„Die Switch ist aber cooler“, sagt er. Ich atme tief durch. Manchmal würde ich den Kindern gerne ganz altmodisch die Ohren lang ziehen.
„Dafür kannst du bei uns mit den Hühner spielen…“
„Meine Eltern hassen Tiere.“
„Na, siehste.“

Unsere Tochter hat zu Weihnachten einen mp3-Player bekommen, weil mein altersschwacher Discman den Geist aufgegeben hatte. Mehr Technik haben unsere Kinder nicht. Ich hatte ihren schlichten mp3-Player nach kinderfreundlicher Bedienbarkeit und fairen Produktionsbedingungen in Deutschland ausgewählt. Die Sechsjährige fand ihn großartig. Bis ihre Freundin sagte: „Also, ich hab ja schon ein iphone. Damit kann man auch Fotos machen und Spiele spielen und wenn ich Neun bin, kriege ich whatsapp.“ Danach fand unsere Tochter ihren mp3-Player nur noch so semitoll.

In solchen Momenten ziehe ich ein zurückgezogenes Leben in einer Blockhütte in Kanada durchaus in Erwägung. Wir möchten unseren Kindern eine möglichst medienfreie Kindheit schenken. Obwohl das für Friedolin und mich deutlich weniger kinderfreie Zeit bedeutet, als wenn wir sie ständig vor diversen Bildschirm parken würden. Sie sollen erstmal die begrenzte Welt von Haus, Garten und Wald kennenlernen, bevor sie sich in den unendlichen Weiten von Spotify, youtube und Minecraft verlieren. Frustration und Langeweile ohne digitalen Schnuller aushalten lernen. Sobald die Technik Einzug hält, gibt es kein zurück. Das habe ich zu oft im Freundeskreis beobachtet. Dort arten Diskussionen um Bildschirmzeit und Fernsehinhalte regelmäßig in handfeste Familienstreitereien aus. Ich habe keine Angst, dass unsere Kinder den Anschluss ans digitale Zeitalter verpassen. Kinder saugen alles so schnell auf. Unsere Tochter hat nur durch Beobachtung aus dem Augenwinkel in kürzester Zeit rausgehabt, wie whatsapp funktioniert. Der Sog der Technik ist immens. Kinderärzte warnen nicht umsonst davor, dass es schon bei Kleinkindern einen deutlichen Anstieg von Kopfschmerzen, ADHS und psychischen Erkrankungen gibt. Wegen Smartphones und der neuen Medien. Wo soll man hin, wenn man am Ziel anfängt?

Die Nachbarn hatten die Switch übrigens angeschafft, weil sie auch unter Zugzwang sind. Die älteren Freunde der Kinder wollten nicht mehr zum Spielen kommen, weil es bei ihnen keine Spielkonsole gab. Das erinnert mich ein bisschen an den Kater von Friedolins Großeltern, der eines Tages nicht mehr nach Hause kam. Die Nachbarn hatten sich eine Fußbodenheizung eingebaut, von dem Tag an wohnte der Kater nebenan. Ich bin mir sicher, dass der Vierjährige auch irgendwann zu den Nachbarn ziehen wird. Wer braucht schon eine Mama, wenn er auch eine Switch haben kann.

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