Die militante Oma
Meine Mutter ist auf kaltem Entzug. Drei Wochen allein in freiwilliger Quarantäne in der Stadt, drei Wochen ohne Enkelkinder. Die Substitutionstherapie aus Schokotrüffeln und Eierlikör schlägt nicht mehr an. Sie entwickelt bedenkliche Entzugserscheinungen. Täglich schickt sie uns Selfies von ihren selbstgebastelten Atemschutzmasken, mit denen sie andere Kunden im Supermarkt verschreckt. Die Strategie geht auf. Im Gegensatz zu uns hat sie immer Mehl und Klopapier. Vielleicht liegt es auch an ihrem ausgeprägten Heuschnupfen. Sobald sie niesend und maskiert den Supermarkt betritt, leert sich das Geschäft schlagartig. Sollten die Supermärkte in Hannover pleite machen, meine Mutter ist Schuld. Als sie anfängt, die Enkelkinder ihrer Nachbarn zu stalken, ziehen wir die Reißleine. Denn nach drei Wochen Einzelhaft stellt sich die Frage: Was schützt mehr vor Krankheit: Isolation oder Glück? Sie braucht ihren Schuss Endorphine.
Die Luft ist mild und im Garten werden unsere hypothetisch infektiösen Kinder den Sicherheitsabstand zu ihrer geliebten Omimi schon einhalten. 30 Minuten später steht meine Zorro-Mutter vor der Tür und bringt Corona-Gastgeschenke: Klopapier und Mundschutze für die Kinder. Die Kinder haben Umarmungen für sie gebastelt. Zwei Papphände an einer Schnur. Die werfen sie ihr aus zwei Metern Entfernung um den Hals. Ich kneife mir mehrfach in den Arm, aber ich wache nicht auf. Die Kinder vermummen sich begeistert und richten im Garten eine Corona-Station für ihre Kuscheltiere ein. Sie führen in 30 Minuten deutlich mehr Tests durch als unser lokales Krankenhaus. Der Virus ist hier noch nicht angekommen. Vielleicht, weil unser Internet so langsam ist. Von Minute zu Minute blüht meine Mutter im Spiel mit den Kindern auf. Schließlich springt sie lachend durch den Garten und schmeißt ihren Mundschutz in die Rabatten. Jetzt kann der Virus zusehen, wie er gegen diese Dosis Glückshormone ankommen will.