Durch das Windauge
Die Kinder können sich nicht entscheiden, ob sie ihre Wunschzettel an das Christkind oder den Weihnachtsmann schicken sollen. Himmelsthür, eines der irdischen Weihnachtspostämter, ist nicht weit von uns. Dorthin könnten wir die Wunschzettel per Post schicken und auf Antwort vom Weihnachtsmann hoffen. Aber die Kinder sind dagegen.
„Der Brief kommt doch eh nicht vom echten Weihnachtsmann“, sagt die Siebenjährige abgeklärt. Sie unterscheiden streng zwischen menschlichen Helfern und den echten Weihnachtsgestalten.
Als am Abend des 5. Dezember der Nikolaus bei uns klingelte und von seinem voll beladenen Karren Äpfel und Lollis an die Kinder verteilte, waren sie sich sicher: Das war nur ein menschlicher Helfer. Erstens trug er einen Mundschutz und zweitens waren die Äpfel in Aluminiumfolie und die Lollis in Plastik verpackt. Sie haben sich natürlich trotzdem wahnsinnig gefreut und bekamen kaum Luft vor Aufregung. Aber der echte Nikolaus bringt natürlich nichts, was es im Supermarkt gibt. Bei uns bringt er Nüsse, Mandarinen, Äpfel, getrocknete Früchte, Salzbrezeln und Lebkuchen. Was ganz eventuell damit zusammenhängt, dass wir vor drei Jahren die Adventszeit in der Schweiz verbrachten und Verarmungswahn bekamen, als wir im Schweizer Supermarkt Nikolaus-Süßigkeiten für die Kinder kaufen wollten. Also brachten wir aus dem Theater, in dem wir gastierten, Äpfel, Nüsse, Trockenfrüchte und Salzbrezeln aus der Künstlergarderobe für die Kinder mit. Sie fanden es wunderbar und magisch. Seitdem ist es so. Und natürlich passen Äpfel besser zu dem Nikolaus, der aus dem tiefen Wald gestapft kommt, als Chupa Chups.
Den Wunschzettel schicken wir also nicht mit der menschlichen Post, sondern mit mit der Post für gute Geister: dem Schornstein. Das Rauchloch oder Windauge, wie er früher genannt wurde, galt einst als Verbindung zu den Göttern und Tor der Geister. Im Winter opferte man Nüsse und Äpfel im Feuer, deren Rauch dann zum Himmel aufstieg und die mit den Wolken jagenden Götter mit ihrem Wohlgeruch freundlich stimmen sollte. Auch der Wintergeist kam früher durch den Schornstein, das Geheul der wilden Jagd drang hindurch, weshalb er immer schön sauber gehalten werden musste, damit sich im Schmutz nicht die bösen Dämonen verstecken konnte und der Weg für die guten Geister frei blieb. Daher gilt der Schornsteinfeger bis heute als Segensbringer.
Die Kinder werfen ihre Wunschzettel ins Feuer und sehen andächtig zu, wie die Flammen sie langsam in Rauch auflösen und ihre Wünsche in den Himmel fliegen. Noch 24-10 Tage bis Weihnachten.