Das zerbrechliche Glück
Im Schatten des knorrigen Kirschbaums liegen sieben Kinder und kichern. Die Großen kichern über ein TikTok-Video. Die Kleinen kichern, weil die Großen kichern. Das Haar hängt ihnen noch dunkel von Meerwasser in die Stirn, zwischendurch schieben sie sich ein Stück Stockbrot mit Grillkäse in den Mund oder verscheuchen träge eine der unzähligen Spätsommerwespen. Wir sitzen mit meiner Schwester, meinem Schwager und ein paar Freunden unter ihrer Laube in der Nähe von Kiel, der letzten Station unserer kleinen Sommerrundreise. Es ist eine dieser seltenen Konstellationen, bei der sich sowohl die Erwachsenen als auch die Kinder miteinander rundum wohlfühlen. Zufrieden betrachten wir unsere zufriedenen Kinder. Sie liegen müde und satt und entspannt wie junge Kätzchen auf dem Rasen und in der Hängematte und sind dabei so einträchtig, wie Kinder und vor allem Geschwister es nur an endlosen Sommerabenden sein können. Der Fünfjährige sitzt bei seiner Cousine auf dem Schoß und hält stolz das blutige Pflaster an seinem großen Zeh in die Höhe. Er war barfuß den 10-minütigen Fußweg vom Strand zum Schrebergarten gelaufen und hatte sich prompt den Zeh aufgerissen. Das stört ihn aber nicht weiter, weil es ihm die zärtliche Aufmerksamkeit der großen Mädchen garantiert.
Bald werden wir zusammen packen und die abendliche Kühle und Müdigkeit der Kinder nutzen, um uns auf die 3,5 stündige Rückfahrt in unser Dorf zu machen. Die Traurigkeit des Abschieds schleicht sich leise an. Abschied vom Urlaub, von Freiheit und süßem Nichtstun mit den Kindern, von einem tiefenentspannten Ehemann und der Corona-freien Zone. Vor allem aber Abschied von meiner Familie. Zuhause ist, wo meine Schwester und meine Nichte sind. Wir wissen bis heute nicht, warum wir uns ausgerechnet so weit entfernt voneinander niederlassen mussten. Aber noch ist das Glück zu groß, um in Abschiedsschmerz zu schwelgen. Die Ostsee rauscht in meinen Ohren, das Tuten der großen Schiffe, das leise Schlagen der Takelage der Segelboote. Dieser Urlaub war rundum schön. Jeden Tag Wasser, Fluss und See und Nordsee und Ostsee, wenig Streit und nur oberflächliche Schürfwunden. Und jetzt noch diese kostbaren Momente in der Abendsonne im Kreis geliebter Menschen. Die Unglücksveteranin in mir brummt misstrauisch vor sich hin und packt schonmal den gedanklichen Erste-Hilfe-Koffer. Erfahrungsgemäß geht es nach so viel Glück nämlich steil bergab. Sie wird recht behalten. Keine 24 Stunden später sehe ich mit Tränen in den Augen dem vor Angst und Schmerzen schreienden Fünfjährigen nach, wie ihn zwei maskierte Figuren in den OP schieben. Er hat sich den Arm gebrochen.