Trecker im Schnee
Wir Niedersachsen kennen uns mit Schnee ja nicht so gut aus. Wenn es mal ordentlich schneit, was höchstens alle 20 Jahre vorkommt, geht nichts mehr. Busse und Bahnen stehen still, die wenigen Räumfahrzeuge kommen gegen den Schnee nicht an und irgendwer von der Stadtverwaltung hat mal wieder vergessen, das Streugut nachzubestellen. Was für ein Glück, wenn man dann einen Nachbarn mit Trecker hat. Ich meine, wir müssen zwar gerade ohnehin nirgendwo hin, aber für die Kinder war der Schneesturmtag besser als jeder Besuch im Freizeitpark.
Als sie gestern morgen zum Schneedienst antraten, um die Zufahrt unserer bettlägerigen Hofmitbewohnerin für den Pflegedienst freizuschippen, war unser sehr toller Nachbar schon mit seinem Trecker zu Gange und räumte unsere Gasse frei. Und wo er gerade schonmal dabei war, auch unseren Vorplatz. Den Schnee häufte er auf seinem Hof zu einem hohen Berg an, damit die Kinder drauf rumrutschen und Schneehöhlen bauen konnten. Was natürlich noch besser war als Schneeschippen. Das hatte der Fünfjährige bereits seit dem Morgengrauen mit großem Elan getan. Zwar hat er dabei den gesamten Schnee unserer Terrasse gegen die Küchentür aufgetürmt, damit er von drinnen die Eiskristalle studieren kann. Aber wir wollen ja nicht pingelig sein. Bleibt die Küchentür halt zu, bis es taut. Schneeanzugzwergen gleich bearbeiteten die Kinder den Hügel auf dem Hof mit Schaufeln und Schneeschiebern im Wettkampf gegen den riesigen Trecker, der unter Protestgeheul mit immer neuen Schneeladungen ihre Gänge wieder zu schüttete. Doch bald hatten sie den Schnee mit so vielen Geheimgängen und Höhlen untertunnelt, dass ein Erwachsener Schmiere stehen musste, um notfalls ein Kind aus einer abgehenden Lawine zu bergen. Für einen kurzen Boxenstopp kamen sie dann mit rotgefrorenen Wangen ins Haus, um einmal Fäustlinge und Schneeschuhe und vereiste Haare am Ofen zu trocken und Kalorien aufzunehmen. Dann ging es wieder raus zum Schlittenfahren. Erwähnte ich, dass wir Niedersachsen uns mit Schnee nicht so auskennen? Nachdem wir uns durch den beissenden Schneesturm zu dem Hang am Ufer des Dorfes gekämpft hatten, mussten wir feststellen, dass man in tiefem Neuschnee gar nicht Schlitten fahren kann. Bevor der Fünfjährige jedoch eine Zitterlippe kriegen konnte, kam zum Glück unser anderer sehr toller Nachbar mit seinem Trecker vorbei, der seine Kinder samt Schlitten hinter sich durch die Feldmark zog. So machen das nämlich die Profis vom Dorf. Wir durften uns kurzerhand hinten dran hängen und los ging die wilde Fahrt im Schneegestöber einmal um die Kiesteiche rum. Wir konnten zwar nicht viel sehen, weil wir im Gegensatz zu den Profi-Bauernkindern keine Schneebrillen aufgesetzt hatten, aber es war einfach grandios mit den Schlitten durch den Tiefschnee zu fliegen, ganz ohne im Anschluss einen Hügel erklimmen zu müssen. So stelle ich mir eine Fahrt im Schlitten der Eiskönigin vor. Minus Dieselgeruch. Ich glaube, wir werden uns keine Gedanken mehr um weiterführende Schulen machen müssen. Die Kinder wollen auf das Gymnasium in der Kreisstadt, wo man auch den Treckerführerschein machen kann.