Wackelzahnpubertät
Der Fünfjährige mag keine Veränderungen. Er ignoriert so gut es geht, dass er im Sommer in die Schule kommt. Klar, möchte er gern Lesen, Schreiben und Rechnen lernen, aber halt lieber weiterhin im Kindergarten. Dabei ist er selbst gerade derjenige, der sich im Zeitraffer verändert. Er schießt in die Höhe, die stampfigen Kinderbeine strecken sich, sein Gesicht wird schmaler und seine Persönlichkeit macht jeden Tag eine neue Facette durch. Außerdem möchte er von nun an bitte sehr alles selbst entscheiden, denn er ist ja jetzt groß, und überhaupt überlegt er, in die Bushaltestelle zu ziehen.
„Da ist wenigstens was los und ich muss nicht ständig tun, was andere mir sagen.“
„Zieh doch wenigstens in Maritas Gewächshaus, dann kann ich dir abends noch aus dem Wohnzimmerfenster Gute Nacht zurufen“, sage ich.
„Das ist mir egal“, sagt er und zum Abendessen komme er ab jetzt auch nicht mehr und vollständig angezogen in den Kindergarten zu gehen, werde grundsätzlich überschätzt. Unsere Tage werden von epischen Stimmungsschwankungen begleitet und ich atme sehr oft tief durch und sage mir, dass diese Milchzahnpubertät sicher eine hervorragende Vorübung ist. Dann kuschelt er sich unvermittelt auf meinen Schoß, nimmt mein Gesicht in seine Hände und gibt mir einen klebrigen Kuss auf die Nasenspitze.
„Weißt Du wie die Kohlensäure in das Sprudelwasser kommt?“, fragt er.
„Nicht so genau“, sage ich.
„Möchtest Du lieber zwei Wochen in einem dunklen Raum verbringen oder einen ganzen Tag mit einem Menschen eingesperrt sein, den du überhaupt nicht leiden kannst?“
„Wolltest du mir nicht etwas über Sprudelwasser erzählen?“
„Sag doch mal!“
„Äh, ich möchte lieber mit einem blöden Menschen eingesperrt sein.“
„Siehst du, jetzt habe ich Druck auf dich ausgeübt und mit Druck kommt auch die Kohlensäure in das Wasser.“
Ich bin baff. „Hast du das im Kindergarten gelernt?“
„Nee, auf so einer CD gehört.“
Von nun an eignet sich mein Kind das Wissen der Welt wohl auch ohne mich an. Er erklärt mir, dass Gänsehaut ein Relikt aus der Urzeit ist, Hefeteig durch pupsende Pilze entsteht und die süßen Plumploris auch Fellknäule des Todes genannt werden, weil ihr Speichel so giftig ist.
Abends im Bett geht ihm so viel durch den Kopf, dass er nicht in den Schlaf findet. Dann lege ich mich zu meinem plötzlich doch nicht mehr ganz so großem Sohn in sein Bett und halte ihn so fest ich kann. Seine Wimpern kitzeln meine Wange, an seinem Blinzeln spüre ich, dass er noch wach ist. Es fühlt sich an wie die Flügelschläge eines Baby-Schmetterlings. Was natürlich ein schiefes Bild ist, ein Baby-Schmetterling wäre ja eine Raupe und die würde sich auf meiner Wange definitiv anders anfühlen. Irgendwann kommen die Flügelschläge immer träger und seltener und bleiben schließlich ganz aus. Ich winde mich sanft aus seiner Umarmung und schleiche in Richtung Zimmertür.
„Mama?“
„Ja?“
„Ich will doch nicht in die Bushaltestelle ziehen.“
„Da bin ich aber froh.“
Wenn Ihr auch so wie ich an der Wackelzahnpubertät Eurer Kinder fast verzweifelt, schaut doch mal bei StarkeKids vorbei. Dort gibt es liebevolle Tipps, wie Ihr Euer Kind in dieser Zeit achtsam begleiten könnt, ohne die Nerven zu verlieren.
3 Kommentare
Claudi
Das klingt nach „Wissen für Kinderohren – Was Mama dringend noch lernen muss“ 🙂
Danke für den Tipp – landet gleich auf meiner Einkaufsliste … spätestens für die nächste längere Autofahrt … wenn das denn mal wieder Realität/Normalität wird.
Wiebke Eymess
Das klingt ja nach einem wachen und tollen Kind 🙂 Die pupsenden Pilze hat er von der CD „Wissen für Kinderohren – Warum schmeckt die Zitrone sauer?“
Claudi
Kommt mir sehr bekannt vor. Bei uns will noch keine(r) ausziehen, aber ich lerne mal eben so nebenbei durch den (inzwischen auch Achtjährigen) extrem viel über Planeten, Bionik, das Polarmeer, … und neuerdings erzählt er mir die griechischen Göttersagen nach. Alles von CDs gelernt … so geht „homeschooling“ 😉 Das mit der pupsenden Hefe klingt aber auch spannend – was hört er denn da so?
LG aus Leipzig