Verarmungswahn
Friedolin hat entschieden, dass wir erst im Winter heizen. Weil der Gaspreis um 11 Prozent gestiegen ist.
„Aber ich hab so kalte Füße“, sagt der Sechsjährige.
Friedolin bleibt eisern. „Dann zieh halt noch ein paar Strümpfe drüber.“
„Ich hab schon zwei Paar an.“
In unserem Haus läuft alles mit Gas: Heizung, Warmwasser, Herd.
Also wird Duschen und Kochen auch rationalisiert.
„Die Nudeln sind heute aber knackig“, sagt die Achtjährige und zerbeißt geräuschvoll die halbgaren Nudeln.
„Genieß deine Spaghetti, so lange es noch welche gibt. Der Nudelpreis soll auch steigen“, sagt Friedolin.
Unser altes Fachwerkhaus ist ohnehin immer kalt, aber langsam nimmt es arktische Ausmaße an.
„Kriegen wir wenigstens einen Eisbären als Haustier?“, fragt der Sechsjährige bibbernd.
Die Kinder gehen in den heimlichen Widerstand. Manchmal stolpert die Achtjährige dramatisch in Heizungsnähe, um sich dann am Thermostat hochzuziehen und ihn dabei heimlich aufzudrehen. Wenn Friedolin dann misstrauisch von seiner Zeitung aufschaut und fragt: „Warum ist das denn so warm hier drin?“, sagt der Sechsjährige mit Unschuldsmiene:
„Das war ich, ich hab gepupst.“
„So viel, dass das Zimmer warm wird?“
„Das kommt von den ungekochten Nudeln.“
Unsere Kinder spielen jetzt häufiger in den geheizten Häusern der Nachbarskinder, wo sie sich dann allerdings sofort die Kleider von Leib reißen, weil sie die Temperaturen nicht mehr gewohnt sind.
Und meine Mutter kommt auch nicht mehr zu Besuch, weil die Kälte bei uns ihrer Arthrose nicht bekommt.
Langsam kriege ich den Eindruck, dass die ganze Aktion gar nichts mit dem steigenden Gaspreis zu tun hat.